Das alte Landleben


Das alte Landleben war körperlich sehr hart. Deshalb ist es heute beinahe feststehende Redensart geworden, sich für die vermeintlichen Vorzüge dieser ´Guten alten Zeit´ zu bedanken. Man will ihre Überbleibsel wohl in Museen, historischen Umzügen o.ä. in gebührender Entfernung an sich vorbeiziehen lassen, begleitet wohl von dem klammheimlichen Gefühl, dass wir es doch so herrlich weit gebracht haben, aber bitte auf keinen Fall: Diese Zeit ´zurück´.

Diese Ansicht unterstellt tatsächlich, die äußeren Unzulänglichkeiten und Widrigkeiten seien Ursache für die innere Heimeligkeit, die größere innere Tiefe jener Zeit. Diese konnte ja nur aus den nach heutigen Maßstäben knapp bemessenen Frei- und Ruhezeiten heraus aufleben. Um wie viel mehr müsste dann unsere Zeit vor Tiefen des Erlebens und der Freudigkeit überquellen? Ist es nicht vielmehr so, dass wir heute überhaupt keine ´freie´ Zeit in dem damaligen Sinne mehr kennen, weil wir sie, unerklärlich beflissen, mit verschiedenen Reizen und unendlich angestrengten Verrichtungen anderer Art vollgestopft haben, vielleicht um den in die Tiefe gehenden Fragen auszuweichen?

Das alte Landleben war nicht nur das Beieinander von äußeren Arbeitsgegenständen, Einrichtungen, Methoden, Daseinsbedingungen und wiederholten Vorkehrungen. Man war dem Unendlichen näher. Diesseitigkeit und Jenseitigkeit waren sich näher, ja zum Teil unmittelbar ineinander verwoben. Nicht in erster Linie geistig-distanziert, sondern seelisch unmittelbar und wirklich. Die existenzielle Unmittelbarkeit der Daseinsvorsorge verlieh jeder menschlichen Arbeit jenseits seiner Härte einen unüberbietbaren Sinn, einen Sinn, der aber dadurch erst seinen vollen Wert erhielt, dass er für jeden Einzelnen existenziell auf die überirdische Dimension ausging. Die vermeintliche Beschränkung und Unzulänglichkeit erhält dadurch einen ganz anderen Wert: man ist schneller bei den wirklich wichtigen Gedanken und Fragen. Keineswegs war es auf diese Weise so, dass diese Welt absolut einfach und beschränkt, dass ´alles fertig´ war: "Ich habe als Kind oft schlichte Bauersleute beisammensitzen sehen, wie sie sich unterhielten über die Sternenwelt, über physikalische Probleme, über das Fortleben im Jenseits, über eschatologische Dinge, über die Schöpfungsgeschichte, über Darwinismus... Solche Gespräche ergaben sich zwanglos am Herdfeuer, in der Stube oder im Wirtshaus. Wenngleich die Unterhaltung gewöhnlich nur von zweien oder dreien bestritten wurde, so hörte doch zuweilen ein ganzer Kreis mit ernster Aufmerksamkeit zu" (Martha BRINGEMEIER, Gemeinschaft und Volkslied, 1931). Gesichert war wohl die große Antwort, aber man konnte sie der Sache nach wegen der ins Jenseitige weisenden Erhabenheit nicht direkt einsehen...

Es kommt also im ganzen nicht nur nicht darauf an, diese Welt in erhaltenen Äußerlichkeiten zu kopieren, sondern der besonderen Atmosphäre auf die Spur zu kommen, die uns heute nicht mehr aufgehen will. Und doch haben wir offenbar eine noch nicht versiegte Ader für das,, was diese Welt innerlich auszumachen scheint und so vielleicht auf etwas frei-natürliches Menschliches verweist.

Wichtig ist: Sich einlassen auf, nicht auf ein fertiges Programm, ein ´Angebot´, sondern sich Einlassen auf etwas Unbekannt-Bekanntes, um.... Das Unbekannt in der konkrete Alltagsverlauf, das Bekannt ist das, was in uns ewig das Eigenste und Menschlichste, das Natürlichste und das Freieste ist..., was aber wohl nicht wie ein ´Etwas´ zu haben ist, sondern über ein Ahnen und Bedeuten erschlossen werden kann.
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